Die ersten echten Armbanduhren

Die erste dokumentierte Armbanduhr der Weltgeschichte, deren Aussehen kein Geheimnis ist, stammt aus dem Jahr 1868 – rund 20 Jahre, bevor die Deutsche Kriegsmarine beim angesehenen Schweizer Hersteller Girard Perregaux die erste serienmäßig hergestellte Armbanduhr in Auftrag gab. Bei der 1868 angefertigten Uhr handelt es sich um eine kleine Uhr der Schweizer Nobelmarke Patek Philippe, die für die ungarische Gräfin Koscowicz produziert wurde. Wie auch andere Damenuhren aus dieser Zeit war die Uhr selbst sehr klein und eher Beiwerk für ein Schmuckstück – in diesem Falle einem goldenen Armreif, an dessen Oberseite sich die Uhr befand. Das Zifferblatt war von einem klappbaren Deckel versteckt, auf dem ein eindrucksvoller Diamant platziert war. Auch neben dem eigentlichen Uhrengehäuse waren Diamanten und Ornamente platziert. Diese Konstruktion, die ein kleines Uhrwerk mit winzigem Zifferblatt als Dekorationsobjekt für Schmuckstücke vorsah, war im 19. Jahrhundert bei Damenuhren allgegenwärtig. Herrenuhren waren praktisch immer Taschenuhren, die sich erst viele Jahrzehnte später der dann in Mode kommenden Armbanduhr geschlagen geben mussten. Die ersten Uhren, die tatsächlich an einem Lederarmband am Handgelenk getragen wurden, kamen gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf.

Einen ersten großen Erfolg konnte die Armbanduhr gegen Ende des 19. Jahrhunderts feiern – und zwar ausgerechnet auf Grund einer Bestellung aus Deutschland. Auch ganz allgemein hat Deutschland immer wieder in erheblichem Maße zur horologischen Geschichtsschreibung beigetragen, allerdings dürfte diese Tatsache den meisten Menschen und selbst eingefleischten Uhrenfans überhaupt nicht bewusst sein. Der erste große Schritt im ausgehenden 19. Jahrhundert war jedenfalls auf die Kriegsmarine des Deutschen Reiches zurückzuführen. Diese wollte die sehr präzisen, leider aber auch äußerst anfälligen Deckchronometer (präzise Großuhren, die zur Navigation auf See genutzt wurden) mit einer „Back-Up“-Lösung ausstatten. Hierzu wurden insgesamt rund 2.000 Armbanduhren des damals bereits namhaften Herstellers Girard Perregaux geordert. Bereits ab 1880 werden die Uhren für die Kriegsmarine von Kaiser Wilhelm I. von Girard Perregaux entwickelt und in den folgenden Jahren ausgeliefert. Zwar ist heute leider keine einzige dieser Armbanduhren mehr existent, gleichwohl konnte man aber aus Archivdokumenten das Aussehen dieser Stücke für das hauseigene Museum der Uhrenmarke rekonstruieren. Die großen Uhrengehäuse waren ursprünglich Taschenuhren, an die feste Stege angelötet worden waren. Das Lederarmband selbst war nur rund einen Zentimeter breit und sah beinahe lächerlich schmal aus. Auf dem Gehäuse selbst befand sich ein Stahlkäfig, also eine Art Gitter, der das empfindliche Uhrenglas (damals gab es nur gewöhnliches Fensterglas, da Saphirglas oder Plexiglas noch nicht verfügbar waren) vor Beschädigungen schützte. Durch die Gitterstruktur konnte die Uhrzeit auch abgelesen werden, ohne dass der Käfig aufgeklappt werden musste. Die Deckoffiziere der deutschen Kriegsmarine konnten mit diesen Uhren eine kurze Zeit- und Navigationseinschätzung tätigen, die ansonsten wohl kaum möglich gewesen wäre. Damit konnte Girard Perregaux die erste halbwegs in Serie hergestellte Armbanduhr entwickeln, die jedoch weder für den freien zivilen Markt verfügbar war, noch außerhalb der Einzelbestellung der kaiserlichen Flotte des Deutschen Reiches produziert wurde. Bis die Armbanduhr den Status eines fest etablierten Alltagsgegenstandes haben würde, sollten noch viele Jahrzehnte vergehen. Das ist vor dem Hintergrund nicht ungewöhnlich, dass Armbanduhren bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein als „Frauen-Accessoire“ galten, die für Herren viel zu feminin und schmuckhaft wären. Die Männer um diese Zeit klammerten sich so heftig in die ihnen so lieb gewordene Taschenuhr, dass es sogar Pamphlete und Bücher gab, die den endgültigen und zeitnahen Niedergang der Armbanduhr prophezeiten. Den endgültigen Durchbruch für die Armbanduhr, der die Taschenuhr bis heute de facto in die Geschichtsbücher verbannen sollte, bescherte dann erst eines der schlimmsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte: der 1. Weltkrieg.

Bevor wir uns den Schrecken des „großen Krieges“, wie man den 1. Weltkrieg bis zum 2. Weltkrieg logischerweise nennen musste, widmen, sollte man noch einen Blick auf das noch frühere 20. Jahrhundert werfen. Genauer gesagt: in das Jahr 1905. In diesem Jahr gründete ein aus Franken stammende Unternehmer in London ein kleines Uhrenunternehmen mit dem Namen „Wilsdorf & Davis“ und sollte in den folgenden Jahren einen entscheidenden Beitrag zur Revolution der Uhrenwelt leisten. Erfahrene Uhrensammler wissen natürlich bereits genau, welche legendäre Marke sich hinter dem frühen Namen Wilsdorf & Davis verbirgt: keine andere, als die legendäre Uhrenmarke Rolex. Hans Wilsdorf, einer der beiden Gründer der Marke, setzte bereits früh auf die Armbanduhr als das bessere Mittel der Zeitmessung. Gleichzeitig musste Wilsdorf & Davis (der Name Rolex wurde erst Jahre später genutzt) Taschenuhren produzieren, da diese Uhren damals den absolut größten Teil der Nachfrage ausmachten. Bereits 1910 konnte das von der Schweizer Firma Aegler produzierte Rebberg Uhrwerk das erste Chronometer-Zertifikat für eine Armbanduhr abstauben. Durch den Fokus von Rolex und Aegler auf Qualität und Präzision war es erstmals im Rahmen größerer Produktionsmengen möglich, miniaturisierte Uhrwerke, die in einer Armbanduhr verbaut werden können, auf ein so hohes Maß an Präzision zu trimmen, dass die neuen Armbanduhrwerke ihren Taschenuhr-Konkurrenten in nichts mehr nachstanden.

Gleichzeitig war seitens der Bevölkerung in Zentraleuropa und sonst wo auf der Welt keine Bereitschaft vorhanden, die Taschenuhr durch eine Armbanduhr zu ersetzen. Nach wie vor galten präzise Armbanduhren als Ausnahme von der Regel, dass Taschenuhren viel präziser und eleganter für Herren seien. Diese Aussage hat sogar einen durchaus wahren Kern: Bisher war es kaum möglich, die Uhrwerke so sehr zu miniaturisieren, dass sie in einer Armbanduhr verbaut werden konnten, ohne nennenswerte Einbußen in puncto Präzision erleiden zu müssen. Die deutlich kleinere Unruh bei kleinen Uhrwerken führte zu einer geringeren Präzision und machte das Feinregulieren der Uhren ungleich schwerer. Erst ein integrierter und auf Qualität getrimmter Fertigungsprozess, effektive Qualitätskontrollen und ein Feinjustieren aller Bauteile bis ins kleinste Detail – wie von Rolex und Aegler praktiziert – ermöglichten präzise Uhrwerke für Armbanduhren, die sich jedoch auf Grund des damals vergleichsweise hohen Preises nicht gegen die günstigeren und im Großen und Ganzen immer noch präziseren Taschenuhren durchsetzen konnten.

Ein weiterer wichtiger Fixpunkt in der Geschichte der Armbanduhr ist ebenfalls im sehr frühen 20. Jahrhundert zu finden und wird leider immer wieder vergessen, obwohl man die Wichtigkeit dieses Ereignisses kaum überschätzen kann: die Erfindung der ersten echten Fliegeruhr. Dabei handelt es sich um die Cartier Santos, die von Louis Cartier für seinen guten Freund Alberto Santos-Dumont. Der brasilianische Pilot hatte sich zuvor bei seinem französischen Freund darüber beschwert, keine passende Uhr für die Fliegerei zu haben, da seine Taschenuhr viel zu mühsam in der Bedienung und beim Ablesen während des Fluges sei. Louis Cartier kreierte kurzerhand eine Uhr, die an einem Armband getragen werden konnte und auf Grund ihres viereckigen Gehäuses auch noch modern und beinahe technokratisch aussah. Santos-Dumont war begeistert von seiner neuen Uhr, die am Handgelenk getragen werden konnte, und auch andere Menschen waren begeistert von dieser Idee – auf diese Weise wurde aus der Cartier Santos nicht nur die erste Flieger-Armbanduhr der Welt, sondern auch die erste massenproduzierte Armbanduhr der Geschichte. Die Cartier Armbanduhr ging schließlich sogar noch ein weiteres mal in die Geschichte ein, da Alberto Santos-Dumont im November 1906 der erste Mensch war, der in einem Flugzeug gefilmt worden war – am Handgelenk trug er dabei seine später nach ihm benannte Uhr. Das eckige Gehäuse der Cartier Santos war vermutlich einer früher schon von Louis Cartier gestalteten eckigen Taschenuhr entliehen. Im Jahr 1911 begann Cartier schließlich damit, die Santos – ausgestattet mit einem Handaufzugswerk von Jaeger – in Serie zu produzieren. Zum Teil wird auch die Vacheron Constantin Uhr, die 1903 für die legendären Flugpioniere der Gebrüder Wright konzipiert worden war, als erste echte Fliegeruhr bezeichnet. Diese umgebaute Taschenuhr war zwar tatsächlich an einem Lederriehmen befestigt, wurde aber nicht am Handgelenk getragen, sondern um den Oberschenkel geschnallt. Entsprechend mag es eine der erste, wenn nicht sogar die erste Fliegeruhr überhaupt gewesen sein, bei dieser Vacheron Constantin Uhr handelte es sich aber jedenfalls nicht um eine Armbanduhr.